Leben in ständiger Anspannung

Wenn Ängste die Gefühlswelt dauerhaft belasten, den Alltag beherrschen und die eigene Handlungsfähigkeit einschränken, ist es Zeit ihnen auf den Grund zu gehen. Sie können Anzeichen für eine ernsthafte Angststörung sein.

Angst ist ein gesunder und notwendiger Affekt. Angst hilft uns, Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren. Sie versetzt Körper und Geist in Bereitschaft, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen und unsere Kräfte zu mobilisieren. Zwei grundlegende Handlungsmuster, die dem Selbstschutz dienen und beim Erleben von Angst automatisch aktiviert werden, sind „Angriff“ oder „Flucht“. Die damit einhergehenden notwendigen und bei Angsterleben immer auftretenden Körperreaktionen sind deshalb u. a. Muskelanspannung, Beschleunigung des Herzschlags, Ausschüttung von Stresshormonen sowie eine Zunahme von Konzentration und Leistungsbereitschaft. Bei einer intakten Angstregulation klingen all diese Symptome nach überstandener Gefahr wieder ab und Entspannung stellt sich ein. In diesem Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung ist Angst also etwas Notwendiges und Sinnvolles.

Angstzustände sind häufigste psychische Erkrankung

Von einer Angsterkrankung sprechen wir, wenn der oben beschriebene normale und biologisch festgelegte Prozess regelmäßig in übersteigerter Form auftritt. Angstzustände werden zur Krankheit, wenn sie

  • unangemessen, zu stark und zu häufig auftreten und zu lange anhalten
  • belasten und starkes Leiden verursachen
  • zur Vermeidung wichtiger Aktivitäten führen und den Handlungs- und Gestaltungsraum im eigenen Leben einschränken

Krankhafte Ängste erfassen meist ganz normale, an sich ungefährliche, d.h. nicht objektiv bedrohliche Lebenslagen. Dann befähigen sie nicht zu erhöhter Leistungsfähigkeit und konzentrierter Aktivität, sondern sie wirken blockierend.

Angststörungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen. Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Angststörung zu erkranken, liegt nach internationalen Studien zwischen 14 und 29 Prozent. Dabei sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer.

Welche Angststörungen können auftreten?

Das internationale Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation beschreibt folgende Formen der Angsterkrankung:

  • Agoraphobie
    Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „Angst vor dem Marktplatz“. Tatsächlich sind jedoch eine Vielzahl von Situationen betroffen. Typisch sind die Angst, das eigene Haus zu verlassen, Geschäfte, Menschenmengen oder öffentliche Plätze aufzusuchen oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
  • Soziale Phobie
    Gefürchtet und im Krankheitsverlauf vermieden werden Situationen, die Kontakte mit anderen Menschen beinhalten. Auslöser dafür ist die Angst, öffentlich abgewertet, abgelehnt oder beschämt zu werden und durch körperliche Reaktionen (z.B. Schwitzen, Rot werden, Erbrechen) aufzufallen.
  • Spezifische (isolierte) Phobien
    Hier wird die Angstsymptomatik durch ein spezifisches Objekt oder eine bestimmte Situation ausgelöst. Es gibt eine Vielzahl möglicher Phobien. Häufig auftretend sind: Angst vor Spinnen (Arachnophobie), Angst vor Hunden (Canophobie), Angst vor Blut (Hämatophobie), Angst vor engen Räumen (Klaustrophobie), Angst vor großen Höhen (Agrophobie), Angst vor dem Fliegen (Aviophobie) oder Angst vor dem Zahnarzt (Dentalphobie).
  • Panikstörung
    Typisch für eine Panikstörung sind Angstzustände, die nicht an bestimmte Situationen gebunden und daher nicht berechenbar sind. Hier steht die körperliche Symptomatik der Angst im Vordergrund. Scheinbar aus dem Nichts heraus erleben Betroffene plötzliches Herzrasen oder unregelmäßigen Herzschlag, oft verbunden mit Brustschmerzen, Erstickungsgefühlen, Zittern, Schwitzen und Schwindel sowie dem Gefühl der Entfremdung. Es tritt fast immer Todesangst auf oder die Angst „verrückt“ zu werden.
  • Generalisierte Angststörung
    Hier tritt eine fortwährende Besorgnis und Angst auf, die nicht auf bestimmte Situationen beschränkt ist. Häufig werden die Auslöser der Angst von den Betroffenen nicht erkannt. Typischerweise befürchten Betroffene, dass Nahestehende oder sie selbst erkranken, einen Unfall erleiden könnten oder eine sonstige Katastrophe eintritt.
  • Angst und depressive Störung
    Hier kommen zu den Symptomen der Angst Merkmale einer Depression hinzu.

Wie entstehen Angststörungen?

Die Ursachen von Angsterkrankungen sind vielfältig. Ein Wechselspiel zwischen biologischen, psychologischen und psychosozialen Faktoren trägt zu ihrer Entstehung bei.

Biologische Aspekte der Angstentstehung

In Familien, Zwillings- und Adoptionsstudien konnte eine genetische Veranlagung für Angststörungen nachgewiesen werden. Es ist wahrscheinlich, dass nicht ein einzelnes, sondern mehrere Gene beteiligt sind.

Weitere mögliche Ursachen können auch in einer gestörten Neurotransmission liegen. An der Informationsübertragung im Gehirn, die auch für das Angsterleben wichtig ist, sind verschiedene Botenstoffe (Neurotransmitter) und Andockstellen für diese Stoffe (Rezeptoren) beteiligt. Man geht heute davon aus, dass es bei den Angststörungen (wie bei vielen anderen psychischen Erkrankungen auch) zu Unregelmäßigkeiten und Ungleichgewichten in diesen Übertragungssystemen kommt.

Psychosoziale Aspekte der Angstentstehung

In vielen Studien konnte zudem nachgewiesen werden, dass es einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen Angststörungen und negativen Lebensereignissen bis hin zu traumatisierenden Ereignissen in Vergangenheit und/oder Gegenwart gibt. Negative Ereignisse in der Kindheit können z.B. Tod eines Elternteils, Trennung von den Eltern, Krankheit in der Kindheit, Alkoholmissbrauch in der Familie oder erlebter sexueller Missbrauch sein. Auch chronische Belastungen wie lang anhaltende Konflikte, Krankheit oder beruflicher Stress können zu Angststörungen führen.

Psychologische Aspekte der Angstentstehung

Nach der Lerntheorie entsteht eine gestörte Angstregulation als Resultat von ungünstigen Lernerfahrungen, z.B. durch ängstliche Vorbilder in der eigenen Biographie.

Kognitiven Modellen zufolge nehmen Menschen, die unter vermehrten Ängsten leiden, die Welt verzerrt, typischerweise unangemessen gefährlich, wahr. Langfristig resultiert aus der verzerrten Wahrnehmung zunächst einzelner Situationen eine situationsübergreifende falsche Bewertung der äußeren Welt. Man spricht dann von der Entwicklung ungünstiger, negativer Denkmuster.

Zudem können bestimmte Merkmale der Persönlichkeit die Anfälligkeit für Angststörungen erhöhen. Menschen mit einem ausgeprägten Perfektionismus und hohen Leistungsansprüchen fällt es auf Dauer schwer, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Das Gefühl, nie genug zu leisten, kann zu einem dauerhaften Anstieg des basalen Erregungsniveaus führen, wodurch der Abstand zur Schwelle von Angsterleben chronisch verringert wird und somit geringere Außenreize notwendig sind, um Angsterleben auszulösen, als dies bei Menschen mit geringem Erregungsniveau der Fall ist.

Wie behandeln wir Angststörungen?

Unser Konzept ist somit störungsspezifisch und richtet sich nach den neuesten wissenschaftlichen Standards. Besonderen Wert legen wir dabei auf die Berücksichtigung Ihrer persönlichen Krankheitsgeschichte. Das Therapieprogramm wird dementsprechend nach Ihren individuellen Bedürfnissen zusammengestellt und beinhaltet Psychotherapie, begleitende Interventionen sowie ggf. medikamentöse Unterstützung.

Das therapeutische Angebot findet in Einzel- und Gruppensettings statt. Es umfasst Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie und psychodynamische Verfahren. Je nach Indikation erfolgen wöchentlich 3 bis 4 Einzelsitzungen mit Ihrer Bezugstherapeutin/Ihrem Bezugstherapeuten. Im ersten Behandlungsabschnitt stehen die Diagnostik, Aufklärung über die Behandlung sowie die Erstellung eines individuellen „Störungsmodells“ im Vordergrund. Daraus leiten wir gemeinsam mit Ihnen das geplante therapeutische Vorgehen ab. Bei den Angststörungen steht die Reduktion der meist als quälend empfundenen Vermeidungssymptomatik im Vordergrund. Wir vermitteln Ihnen das „Handwerkszeug“, um diese Symptome verändern zu können. Neben dem Erlernen verschiedener Verhaltensfertigkeiten, die bei der Bewältigung Ihrer Erkrankung hilfreich sind, sollen Sie so „SpezialistIn für die eigene Störung“ werden.